Nachdenkliches, Gefühle und Erkenntnisse

 

 

Anfangs ist man fasziniert, wie schön ordentlich sich eine Stammbaumstruktur nach dem Ausfüllen einiger Karteikarten aufbaut. Doch nach kurzer Zeit wird einem bewusst, dass jeweils ein Mensch, ein Schicksal dahinter verborgen ist.

Die Frage stellt sich schnell, unter welchen Umständen haben die Leute damals gelebt, was hat sie besonders bewegt, wie sah ihre Vorstellungswelt aus?

Ich lese in einer Chronik, die aus der Verwandtschaft stammt: "...am 6. October starb ihnen eine Tochter. Aus ihrer Ehe gingen weitere Kinder hervor, von denen jedoch 5 (!), zumeist im jugendlichen Alter, in den Jahren 1665, 1669 allein 3 (!) bei einer Epidemie unter den Kindern, und 1672 den Eltern im Tode vorausgingen..."

 
An einer anderen Stelle ist zu lesen: "..., 1805 Österreichischer Kavallerie-Offizier im Feldzug gegen Napoleon I., geriet in der Schlacht bei Austerlitz verwundet in französische Gefangenschaft, wurde in Graz interniert, entfloh und erreichte die Österreichische Armee. Bei einem nächtlichen Ritt fiel er mit dem Pferde in eine Steinkuhle, woselbst er unter dem toten Pferde zwei Tage und zwei Nächte mit zerbrochenen Armen, Beinen und Rippe lag. Endlich gefunden, wurde er als militäruntauglich ehrenvoll entlassen, kehrte in seine Vaterstadt G. zurück und starb dortselbst an den Folgen eines Sturzes am 7. November 1808..."

Einen wichtigen Raum nimmt in der Chronik das Lehnwesen ein. Die Urkunden lassen ahnen, dass es derzeit auch schon sehr wichtig war, pedantisch Einzelheiten zu beschreiben. Waren sie doch Existenzgrundlagen der Vertragspartner.

Es wird auch von anderen Schicksalen berichtet. In den Kriegswirren (1812 Napoleon/Russland) kam der Ernährer an der Beresina um. Ein Pächter soll sein Gut derart heruntergewirtschaftet haben, dass die damals minderjährigen Kinder des Gefallenen, im Erwachsenenalter alles verloren hatten. Aus "Gram" sollen sie nach Amerika ausgewandert sein.

Amerika war schon bald als neue Chance für viele zu sehen. Ich konnte eine Namensübereinstimmung aus der Chronik mit einer Passagierliste der "Bremen" (5. März 1868) feststellen.

Als besondere Ehre für die Familie schien es, wenn mindestens eines der Kinder ein kirchliches Amt bekleidete. Oft wird besonders darauf hingewiesen.

Bei der Betrachtung der Ahnentafel wird mir auch die Endlichkeit so richtig vor Augen geführt. Nutzen wir die verbleibende Zeit für erbaulichen Dingen, lasst uns nicht in Reibereien aufzehren!

Die Schulweisheit ist längst aufgezehrt. Ich beginne mich für die Geschichte neu zu interessieren, kaufe Bücher und versuche die Zusammenhänge zu verstehen. Abgerundet wird das Bild durch Reisen und Besichtigungen. Dazu leistet mir das Wohnmobil gute Dienste.

Wird die Sehnsucht nach der "guten alten Zeit" nicht durch eine falsche Brille gesehen? Bedenke ich, dass die Leute bis vor gar nicht so langer Zeit Todesängste in den Kriegen ausgestanden haben, bin ich froh, dass ich jetzt hier und heute lebe. Ein sehr hohes Gut, welches wir uns trotz aller anderen gesellschaftlichen Querelen vor Augen halten sollten...